Pressetext zum neuen Album von Oliver Uschmann
DAVE DE BOURG „Was hätten wir gemacht ohne die Musik?“
Das melancholische Wir
Als Geschichtenerzähler hast du dich immer für eine Perspektive zu entscheiden. Fliegst du allwissend über die Landschaft oder schreibst du versteckt in dein Tagebuch? Sprichst du jemanden an wie in einem Briefroman oder berichtest du aus Sicht eines Dritten in der Rollenrede? Dave de Bourg wählt auf seinem fünften Album eine Erzählform, die zugunsten der Gefühle die Technik transzendiert. Nennen wir sie mal: „Das melancholische Wir.“
Sicher, rein wörtlich sagt der Sänger und Songwriter aus dem unwirklichen Örtchen Montabaur, über dessen Bahnhof er gute Witze machen kann, häufig „ich“. Doch da niemand in diesem ansonsten so abgebrühten Geschäft weniger selbstverliebt ist als Dave de Bourg, steht neben dem „Ich“ meistens ein „Du“, wie etwa in „Lacoste Filiale“, einem treffsicheren Pamphlet über die Entseelung der Städte. Schnell werden das „Ich“ und das „Du“ zum „Wir“ und zwar nicht zu irgendeinem, sondern zu dem, das noch erlebt hat, wie die Heimat damals aussah. „Dort wo wir früher waren / ist heute eine Lacoste Filiale / Musik und Jugend ausgetauscht / für T-Shirts mit Krokodilen drauf.“ Das „Wir“, von dem dieses ganze Album berichtet, ist jene Gemeinschaft aus Endddreißigern, die noch wissen, wie Kellerclubs und Jugendhäuser riechen, um fünf Uhr morgens, wenn die Sohle am klebrigen Bodenbier kleben bleibt und draußen schon die Sonne aufgeht. Es ist das „Wir“ der digitalen Migranten, die noch ohne Netz aufgewachsen sind und daher eine Ahnung von der Freiheit haben, die Dave de Bourg besingt, wenn er einzigartig textet: „Komm sei doch mal Punk / wirf dein Handy in den Schrank / schließ es ab und sperr es weg.“ Dieser Mann meint es aufrichtig, wenn er sich ein Leben „Unter dem Radar“ erträumt und es passend zum Text besonders karg und minimalistisch arrangiert.
Es passt zwar zu seinem Humor, spricht der Seele seines Schaffens aber dennoch Hohn, wenn die Datenbank für Sofakonzerte ihn mit der Stimmung „fröhlich/upbeat“ verschlagwortet. Nein, liebe Leute, Dave de Bourg ist genauso fröhlich wie die frühen Tocotronic „witzig“ waren oder die melodischen Schnoddersänger des kalifornischen Punkrocks „sonnig“… an der Oberfläche, ja, aber schon knapp unter dem Glitzerwasser, dort, wo die Lichtbrechung die Hand abknickt, steckt die zeitlose Substanz aus Sehnsucht, Schwermut und ungebrochenem Idealismus.
So nimmt einen Dave de Bourg als Teil des „Wir“ an die Hand und spaziert durch St. Pauli, wo „immer links vor rechts gilt / außer im Straßenverkehr“, wünscht sich „keine Angst für niemand“ und verwirft seinen „10 Jahres Plan“ bereits „nach 10 Tagen“, wie die meisten es tun. Das alles zu einem glasklaren, knusprigen Sound, den er sich leisten kann, weil er so viel Substanz hat, dass er sie nicht durch aufgesetztes Lo-Fi-Geknarze simulieren muss. Mal wirken die Lieder ganz schlicht und schleichend, mal so, als hätte Bob Dylan gemeinsam mit Tocotronic „Die Welt kann mich nicht mehr verstehen“ neu eingespielt und zwar auf eine Weise, dass daumenschnelle Netzeinwohner dafür den Hashtag #daveeskaliert erfinden würden.
„Das melancholische Wir“ – es ist eine Kunst, ein Prozess, wie die Farbspritzer des Artworks. Die Kunst, nostalgisch zu sein, ohne zu jammern. Die Kunst, weich zu sein, aber nicht weinerlich. Die Kunst, Worte zu finden, die weder zu Motivationstrainersprüchen noch zu Proseminaren taugen, sondern verdammt noch mal zum Leben.
Was machten wir ohne Dave de Bourg?
(Oliver Uschmann)